Herr Komlóssy, wie werden sich zukünftig die Presseverkäufe in Deutschland entwickeln und welche Bedeutung wird der Vertrieb digitaler Medien im Vergleich zum klassischen Zeitungs- und Zeitschriftenvertrieb erlangen?
Die Verkaufszahlen sind für fast alle Titel sowohl im Einzelverkauf als auch im Abonnement rückläufig. Die negative Auflagenentwicklung ist auf unterschiedlichen Ebenen gravierend und für viele Zeitungen und Zeitschriften existenzbedrohend. Die Ursachen dafür kennen wir alle. Wir werden diese Entwicklung nicht zurückdrehen können. Die Mediennutzung hat sich verändert und die Entwicklung wird rasant weitergehen. Ich prognostiziere: Zeitungen in Papierform wird es in absehbarer Zeit nicht mehr geben.
Bei Zeitschriften sieht es anders aus. Bestimmte Segmente und Gattungen werden weiter bestehen, wenn sie qualitativ gut gemacht sind. Doch auch hier sind inhaltliche Veränderungen und neue Ideen gefragt. Vom TV-Segment abgesehen hat sich die Zeit vor allem für die großauflagigen Titel geändert. Die Menschen lesen Zeitschriften heute anders als vor ein paar Jahrzehnten.
Im Vertrieb von digitalen Angeboten sehe ich gegenwärtig vor allem Kombinationsmöglichkeiten mit Print-Ange-boten. Unübersehbar ist, dass es zunehmend Nutzer von digitalen Informationsangeboten gegen Bezahlung gibt. Doch allein davon kann momentan noch kein Verlagsunternehmen wirtschaftlich überleben. Zunächst wird der Vertrieb von Medien seine Erlöse aus beiden Angebotsformen – Print und digital – ziehen müssen.
Sie sprechen fünf Sprachen, sind in den Niederlanden aufgewachsen und haben Erfahrungen im Zeitschriftenvertrieb auch in anderen europäischen Ländern.
Gibt es nach Ihrem Eindruck unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen europäischen Ländern, was den Zeitschriftenvertrieb betrifft?
Die Veränderungen im Medienkonsum-Verhalten der Verbraucher dürften in allen europäischen Ländern in etwa gleich sein: Für junge Menschen steht Print nicht mehr an erster Stelle. Und auch für eine Vielzahl älterer Menschen nicht mehr. Das muss zwangsläufig Auswirkungen auf Strukturen im Pressehandel haben. In England und Frankreich hat sich der Wandel in den Vertriebsstrukturen schon früher vollzogen als in Deutschland.
Die Vertriebskooperation von Bauer und Gruner+Jahr kommt überraschend, weil beide Verlage im Pressevertrieb bislang unterschiedliche Strategien praktiziert haben. Es dürfte in diesem Bereich der Konzentration auch weiterhin Entwicklungen geben, die vor ein paar Jahren noch undenkbar waren. Ob das für die kleineren Titel im Presse-Einzelhandel gut ist, wird sich zeigen.
Die Bedeutung des Vertriebs im Abonnement nimmt jedenfalls zu. Die kleineren und mittelständischen Verlage in Deutschland werden verstärkt auf verlagsneutrale Abomarketing-Anbieter setzen. Für mein Unternehmen ist das eine Chance und für andere unabhängige Dienstleister auch. Für Qualitätstitel und Special Interest-Zeitschriften wird das Abonnement durch die aktuelle Entwicklung noch wichtiger. In der jetzt entstandenen Situation spricht alles für die Priorisierung des Abonnements im Vertrieb von Presse.
Welche Voraussetzungen müssen aus Ihrer Sicht erfüllt werden, damit Printmedien eine Zukunft haben?
Erstens: Zunächst einmal brauchen wir moderne, attraktive Zeitschriften-Angebote, die zielgruppenbezogen sind: für junge Menschen, für Familien und Lebenspartnerschaften, für Senioren.
Zweitens: Wir brauchen politische und gesellschaftliche Initiativen, die klarmachen, welche Bedeutung das Lesen von Zeitschriften für eine demokratische, humane Gesellschaft hat. Die demokratischen Parteien müssen das Lesen fördern, denn ohne Lesefertigkeit keine Urteilsfähigkeit und kein digitaler Fortschritt.
Drittens: Wir brauchen mehr Selbstbewusstsein und Mut der Verlage für das geschriebene Wort und die Vielfalt der Informationen und Meinungen. Es wäre gut, wenn die Presse in Deutschland selbstbewusst und systematisch in eigener Sache tätig würde. Denn wir alle dürfen sicher sein, dass eine Welt, in der nicht mehr gelesen wird, eine Welt ohne Werte sein wird. Die Zeitschriften in Deutschland müssen qualitativ und in allen Segmenten so gut sein, dass sie für eine Vielzahl von Menschen unverzichtbar sind. Dazu gehört, dass geschönte, gefärbte oder gar erfundene Berichte und Reportagen in Printmedien nichts zu suchen haben. Die Qualität der großen, hochangesehenen Zeitschriftentitel in Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten gelitten.
Wir brauchen Vielfalt, Freiheit und Wahrheit in der Presse und in den Medien. Dann wird auch wieder mehr gelesen werden. Und die beste Form des Zeitschriftenvertriebs der Zukunft ist das Abonnement. Davon bin ich überzeugt.
DIE FRAGEN STELLTE HERMANN SCHMIDT